20. Oktober 2021
Antje Wolf-Sauer ist die neue Chefin im Hospiz “Haus Geborgenheit” in Neustadt. Als ehemalige Home-Care-Schwester kennt Sie die Einrichtung seit den ersten Stunden. Unter der Trägerschaft der Lungenklinik Neustadt GmbH, die sich in direkter Nachbarschaft befindet, beherbergt und begleitet das Hospiz mit 20 Mitarbeitern unheilbar kranke Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Insgesamt verfügt das Haus über 12 Betten, die im Durchschnitt etwa 26 Tage belegt sind.
Im Interview spricht die 48-Jährige Fachwirtin für Gesundheit und Soziales über Ihr neues Aufgabenfeld, die Hospizarbeit und über den Umgang mit Ihren Patienten, deren Schicksale das eigene Leben in ein neues Licht rücken lassen.
Als neue Leiterin lenken Sie künftig die Geschicke im “Haus Geborgenheit” in Neustadt. Sind Sie in Ihrem neuen Job schon gut angekommen?
Für mich ist es ein Gefühl, als ob ich nach Hause komme. Denn ich betreue bereits seit vielen Jahren den Homecare-Bereich im Hospiz. Zudem hat mich das gesamte Team als neue Leiterin toll aufgenommen. Was mir wiederum einen guten Start ermöglicht, um mich auf meine neuen Aufgaben bestens vorzubereiten.
Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen und welche Voraussetzungen bringen Sie als neue Chefin mit?
Die palliative Arbeit liegt mir schon seit vielen Jahren sehr am Herzen. Eine familiäre Begegnung hat mir damals gezeigt, dass dies mein persönlicher Weg ist. Ich selbst arbeite im Rahmen einer Kooperation schon viele Jahre in einem SAPV Team (Spezialisierte ambulante Palliativversorgung) mit. Als Homecare-Mitarbeiterin habe ich bereits über einige Jahre Führungserfahrung sammeln dürfen. Zudem habe ich eine Zusatzqualifikation als Fachwirtin für Gesundheit und Soziales erfolgreich absolviert. Als schließlich die Stelle der Hospizleitung vakant wurde, war es für mich ein inneres Bedürfnis, die Leitung zu übernehmen, um mich noch mehr in die Arbeit einzubringen.
Sie haben den Pflegeberuf von der Pike auf gelernt und diesen immer mit viel Herzblut ausgeübt. Können Sie das weiterhin tun oder bleibt dafür künftig wenig Zeit?
Es war schon immer mein Wunsch Krankenschwester zu sein, weil es für mich ein echter Traumberuf ist. Auch wenn ich als Hospizleitung jetzt viele administrative Aufgaben übernehmen muss, ist es mir ein inneres Bedürfnis an der Basis weiter mitzuarbeiten. Denn die Zeit für Gespräche mit unseren Gästen und deren Angehörige werde ich mir auch weiterhin nehmen.
Was hat Sie eigentlich dazu bewogen im Palliativdienst bzw. im Hospiz zu arbeiten?
Mein Schwiegervater starb eines Tages recht unverhofft, was mich persönlich sehr verändert hat.
Damals hatte ich ihn begleitet und den ersten Kontakt mit einem palliativen Patient erlebt. Ich wusste in dieser Zeit sofort, dass diese Arbeit für mich Erfüllung und Berufung zugleich ist.
Hat Sie die Arbeit persönlich verändert?
Seit ich mit schwerstkranken Menschen zusammen arbeite, bin ich demütig geworden. Dabei lernt man unter anderem, dem Leben gegenüber wesentlich dankbarer zu sein.
Woher kommt Ihre Kraft, Menschen in ihren schwersten Stunden zur Seite zu stehen, sie liebevoll zu betreuen und bis zu ihrem Ende zu begleiten?
Meine Stütze ist meine tolle Familie, die mir in jeder Weise den Rücken stärkt. Sie fängt mich auf, wenn auch mir mal zum Weinen ist. Außerdem gehe ich einmal monatlich zu einem Fach-Coaching. Dort wird einem das nötige Handwerkszeug vermittelt, um mit schwierigen Situationen umgehen zu können. Dabei lernt man nicht nur, wie schwierige Gespräche geführt werden, sondern auch, wie man diese persönlich verarbeitet.
Worauf kommt es in ihrem Berufsalltag im Besonderen an?
Der Umgang mit unseren Gästen ist in jeder Situation besonders und von Würde, Liebe und Respekt geprägt. Die Arbeit verlangt sehr viel Verständnis für diese schwierige Situation, in der sich unsere Gäste und deren Angehörige befinden.
Was sind unverzichtbare Eigenschaften, will man diesen Beruf ausüben?
Palliative Arbeit heißt in erster Linie Ruhe vermitteln, Einfühlungsvermögen zeigen oder einfach nur dazusein, um Menschen zuzuhören. Wer diese Arbeit nur zum Bestreiten des eigenen Lebensunterhalts sieht, ist meiner Meinung nach am falschen Platz. Es ist in erster Linie eine emotionale Arbeit, bei der man nicht immer auf Dienstzeiten achten sollte. Dem muss sich jeder bewusst sein, der sich für einen Job in der Hospizarbeit interessiert.
Verbinden Sie persönlich das Leben mit dem Tod?
Für mich bildet beides eine Einheit und gehört untrennbar zusammen. Die alte Weisheit: “Der eine geht, der andere kommt”, habe ich schon oft erleben müssen. Familien verlieren Angehörige und gleichzeitig erblickt ein neuer Erdenbürger das Licht der Welt. Es ist der ewige Kreislauf des Lebens, der alles um uns herum bestimmt.
Sollte diesem Thema im gesellschaftlichen Alltag eigentlich mehr Aufmerksamkeit erhalten?
Hospizarbeit wird leider viel zu wenig thematisiert. Viele Menschen kennen unsere Arbeit im Hospiz gar nicht und sehen diese Einrichtungen oft nur als Sterbehäuser. Unsere Arbeit beinhaltet aber wesentlich mehr. Wir sorgen dafür, dass wir den Menschen diesen letzte Weg schön und einzigartig gestalten, wie es in unserer Macht steht.
Von sterbenden Menschen lernen, was im Leben zählt, ist eine oft behandelte Thematik in der Literatur. Nehmen Sie sich Ratschläge von Patienten zu Herzen?
Ich höre sehr gern unseren Gästen zu, wenn sie aus ihrer Vergangenheit erzählen. Man lernt das Leben dabei oft neu kennen. Gleichzeitig können wir aber auch unseren Gästen und Angehörigen gute Ratschläge geben, die ihnen in dieser schweren Zeit Stütze und Hilfe zugleich sind.
Hat die neue Chefin einen besonderen Wunsch?
Ich möchte vor allem mein Team in der Arbeit weiter stärken. Denn ohne diese tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an meiner Seite, ist eine gute Leitung des Hauses kaum möglich.
Vor allem wollen wir ein offenes Haus bleiben. Jeder Mensch, der das Bedürfnis hat sich über unsere Arbeit zu informieren, ist dazu herzlich eingeladen. Außerdem möchte ich das gemeinsam Netzwerk mit unseren Kooperationspartnern pflegen, um die palliative Arbeit weiter in den Vordergrund zu rücken. Hospizarbeit verlangt nach mehr Bedeutung und mehr Akzeptanz in der Bevölkerung.